Leseprobe 3 - Originalausgabe


Leseprobe 3
Aus dem Kapitel Unsere Werte bestimmen unsere Welt

Mit Industrialisierung und Ausbreitung der Marktwirtschaft haben wir das Streben nach Vermögen zu unserem Ziel erklärt. Das beständige Vergleichen von Preisen und Leistungen auf der Suche nach dem billigsten Angebot stellt einen wesentlichen Teil unseres täglichen Handelns dar.

Adam Smiths Idee hat zwei Haken: Ziel unternehmerischen Handelns ist einzig der Gewinn. Gemessen wird ausschließlich in Geldwert. Andere Ziele und Werte wie Glück, Gerechtigkeit, Fairness, Barmherzigkeit, Solidarität und Nächstenliebe, Demokratie, Umweltschutz, Ressourcenschonung, Ruhe und Entspannung, ein langes Leben, Frieden und Freiheit zählen bei unternehmerischen Entscheidungen kaum oder gar nicht. Dass unser Wirtschaftssystem unter diesen Bedingungen sein postuliertes Ziel der optimalen Versorgung aller durch fairen Wettbewerb erreichen kann, halte ich für ausgeschlossen.

Manch einer wird jetzt erwidern wollen, man könnte die anderen Werte in Geld umrechnen. Das ist meiner Ansicht nach aus verschiedenen Gründen nicht sinnvoll. Eine lineare Betrachtung nur des Geldwertes wird vielen Situationen nicht gerecht. Eine solche Skala ist willkürlich gewählt und schafft Maßstäbe, die klarer aussehen, als sie sind. Man wird darauf konditioniert, in Geldwerten zu denken und diese zum einzigen Maßstab zu erklären. „Doch während sich immer mehr Länder in aller Welt auf die Marktmechanismen verließen, geschah noch etwas anderes. Im Leben der Gesellschaft begannen die Wertvorstellungen des Marktes eine immer größere Rolle zu spielen.“ (1) Es ist nicht alles handelbar, und „Güter“ bleiben nicht vom Markt unbeeinflusst, wenn sie gehandelt werden – würden Freundschaften, Nobelpreise und ähnliches vermarktet, so würden sie genau dadurch ihren Wert verlieren. Jeder neue Handel eines Gutes oder einer Dienstleistung bewirkt eine Verbreitung des Denkens in Geldwerten. Diese zunehmende Ausbreitung des Markt-Denkens lässt auch uns nicht unberührt. „Ökonomen gehen davon aus, dass Märkte die von ihnen gelenkten Güter unversehrt lassen. Doch das ist nicht wahr. Märkte beeinflussen die gesellschaftlichen Normen. Häufig zerfressen oder verdrängen Marktanreize andere, marktfremde Normen.“ (2) Adam Smiths „unsichtbare Hand“ bewirkte auch, dass sich das ständige Denken an Geld und Gier in der Gesellschaft etablierten. Selbst wenn Egoismus alles zum Guten wenden könnte, wäre es immer noch Egoismus. Dieses Denken erstreckt sich dann auch auf andere Bereiche: „Lohnt es sich, die Oma in ein teures Pflegeheim zu geben?“

Ein Beispiel dafür ist das Verhalten der Menschen vor und nach der Währungsreform von 1948. Während die Versorgung vor der Reform weitgehend über Nachbarschaftshilfe erfolgte, etablierte sich danach der Handel, wie wir ihn kennen, und alle schauten nur noch aufs Geld. Davor wurde Solidarität gefordert und gefördert, danach Egoismus. Wo es kein Geld gibt, sind die Menschen stärker zur Zusammenarbeit genötigt. Dass es bei uns alles gegen Geld gibt, trägt zur Entsolidarisierung bei. Die Marktwirtschaft durchdringt immer mehr Bereiche unseres Lebens. „In einer Welt, in der alles käuflich ist, haben es Menschen mit bescheidenen Mitteln schwerer. Je mehr für Geld zu haben ist, desto schwerer fällt Reichtum (oder sein Fehlen) ins Gewicht.“ (3)

Ich denke, wir bekommen heute die Auswirkungen davon zu spüren, dass Adam Smiths Beobachtung zu sehr verallgemeinert wurde. Geld ist als Mittel zum Tauschen erfunden worden. Tauschgeschäfte wurden dadurch erleichtert, dass man nun nicht mehr in halben Hühnern rechnen musste, also der Tausch auch von kleineren Mengen erleichtert wurde und man Werte aufbewahren konnte. Ein halbes Huhn hält nicht sehr lange. Geld hat jedoch keinen inneren Wert. Mit Papiergeld könnte man im Notfall heizen, Geld auf der Bank hat jedoch gar keinen immanenten Nutzen. Dementsprechend sollten wir Geld behandeln, da es sonst unser Streben in eine falsche Richtung lenkt. Es ist nicht mehr als ein Mittel zum Zweck – ein Werkzeug.

Wenn man das Streben nach Gewinn als den maßgeblichen Regelungsmechanismus mit Geld als Messgröße wählt und den Menschen erzählt, es sei eine gute Lösung für alle Probleme, schön gierig zu sein, braucht man sich hinterher nicht zu wundern, wenn moralische Krüppel das Geschehen bestimmen. Es ist absurd, auf dem Wühltisch immer nur nach dem Billigsten zu suchen und sich gleichzeitig darüber aufzuregen, dass es keine Moral mehr in der Welt gibt. Das eine ist das andere. Ebenso ist die ewige Suche nach dem günstigsten Angebot die Ursache dafür, dass uns häufig Halbfertiges und Schrott verkauft wird. Und da die Arbeitgeber das genauso betreiben, bewegen sich auch Löhne immer an der Untergrenze des Möglichen.

Wird auffallend egoistisches Verhalten mit dem Spruch kommentiert: „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“, so lachen meist alle Anwesenden. Die Idee von Adam Smith drückt dasselbe aus – und viele Menschen glauben, dass diese Haltung in wirtschaftlichen Belangen funktionieren würde.

Die Lösung dieses Problems liegt nicht linker oder rechter Wirtschaftspolitik, in Staatsprotektionismus oder Neoliberalismus. Sie liegt nicht einmal innerhalb der Wirtschaftspolitik. Die Lösung liegt in einer Veränderung unserer Werte. Die Zustände werden sich nur ändern, wenn wir weniger gierig sind und das Miteinander wiederentdecken. Wenn wir wollen, dass die Welt besser wird, sollten wir wieder nach dem streben, was wir als gut ansehen, anstatt darauf zu hoffen, dass das Streben nach dem Falschen (dem Geld) zum Guten führt. Wenn wir glauben, es mache nichts, wenn manche gierig, andere egoistisch und wiederum andere ungebildet seien und allen ein Mindestmaß an Moral fehlt, dann irren wir. Wir brauchen miteinander vereinbare Werte und Ziele. Neoliberalismus und Moral passen nicht unter einen Hut. Die Welt wird nur dann schön und gut und freundlich, wenn wir alle dazu beitragen und wohlwollend an die Zukunft und unsere Mitmenschen herantreten. Aus Egoismus und Gier wird keine Schönheit, Freundlichkeit und Gemeinschaft erwachsen, egal wie lange wir unsere Gier ausbauen. Wichtig ist, was wir denken. Nur wenn wir in unserem Geist die Vorstellung von etwas Gutem und Richtigen etablieren, können wir es schaffen, die Welt danach zu gestalten. In einem Roman fand ich den treffenden Satz: „Dass alles auf Korruption und Übervorteilung hinauslief, lag nicht vorrangig an den Mächtigen, sondern an der Grundphilosophie einer Gesellschaft, die dem Gedanken der persönlichen Bereicherung weitaus mehr verbunden war als dem des Teilens.“ (4)

Karl Marx beschrieb bereits 1867 den Wechsel in der Betrachtung von Waren vom Nutzwert hin zum reinen Geldwert. Zu Beginn des Geldwesens war es sinnvoll gewesen, Nutzwerte in Tauschwerte zu übersetzen, um durch Arbeitsteilung die Versorgung aller zu verbessern. Heute messen wir nur noch in Tauschwerten, nicht in Nutzwerten. Das Mittel ist zum Zweck geworden. Wir müssen nicht das Geld abschaffen, sondern den Wert von Dingen wieder anhand ihres Nutzwertes messen. In unserer Zeit ist Geld zum Maßstab für alles geworden – obwohl es erfunden wurde, um den Menschen zu nützen, nicht umgekehrt.

[...]

Wie können wir es schaffen, Moral selbständig in unsere Persönlichkeit zu integrieren? Die Mechanismen, die dafür sorgen, dass Egoismus, Unehrlichkeit und Empathielosigkeit finanzielle Vorteile bringen, entspringen einer bestimmten Geisteshaltung. Diese lässt sich nicht per Gesetz abschaffen, sondern nur durch Erkenntnis. Sie wird erst verschwinden, wenn wir nicht mehr an sie glauben.

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(1) Sandel, Michael J. 2012. Was man für Geld nicht kaufen kann.
(2) Sandel, Michael J. 2012. Was man für Geld nicht kaufen kann.
(3) Sandel, Michael J. 2012. Was man für Geld nicht kaufen kann.
(4) Fleck, Dirk C. 2007. Das Tahiti-Projekt.


Das Buch ist jetzt als Paperback, Hardcover und Ebook bei tredition.de erhältlich.
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